Kognitive Aktivierung
Malte Ring und Taiga Brahm
Unter kognitiver Aktivierung wird die Anregung zur vertieften Auseinandersetzung mit Lerninhalten verstanden. Diese bewirkt, dass der Unterricht hochwertige kognitive Prozesse auslöst (Lipowsky, 2009). Durch kognitive Aktivierung lassen sich insbesondere ein systematischer Wissensaufbau und ein nachhaltiges Verständnis von Wissensinhalten erreichen (Klieme et al., 2001). Kognitive Aktivierung zeichnet sich durch anspruchsvolle, auf das Schüler:innenwissen abgestimmte Aufgaben aus (Voraussetzungen der Lernenden), die sich nicht routinemäßig bearbeiten lassen, sondern intensive und aktive Lernzeit erfordern (Lipowsky, 2009).
Kognitive Aktivierung fordert von den Lernenden, dass diese neu Gelerntes mit bereits vorhandenem Wissen verknüpfen, aktiv Probleme lösen (Problemorientierung) und dadurch ihre Wissensstrukturen ausbauen und erweitern. Nur so kann eine langfristig gut vernetze und transferfähige Wissensstruktur entstehen (Kunter & Voss, 2011) (Wissensstrukturen und Visualisierung).
Es sollte hierbei allerdings „nur“ von einem Potential zur kognitiven Aktivierung ausgegangen werden. Denn auf Seiten der Schülerinnen und Schüler spielen zusätzlich zu dem kognitiv aktivierenden Input auch weitere Faktoren wie beispielsweise Vorwissen und Motivation eine zentrale Rolle für den Lernerfolg (Voraussetzungen der Lernenden). Denk- und Problemlöseprozesse sind daher immer mit Unsicherheit behaftet (Lipowsky, 2009). Diese Unsicherheit und beeinflussende Faktoren auf Lehrenden- und Lernenden-Seite sind im Angebots-Nutzungs-Modell zusammengefasst (Helmke et al., 2007).
Kognitive Aktivierung im Wirtschaftsunterricht
Lipowsky (2009) formuliert einige fächerübergreifende Möglichkeiten zur Initiierung von kognitiver Aktivierung im Unterricht. Möglich sind unter anderem die Formulierung kognitiv aktivierender Aufgaben und herausfordernder Fragen, die Provozierung kognitiver Konflikte, das Anstoßen von Problemlösungsprozesse sowie die Anregung zur Darlegung eigener Gedanken, Konzepte und Lösungswege (siehe auch Kunter & Trautwein, 2013). Die meist aus der Mathematikdidaktik bzw. Allgemeindidaktik stammenden Ergebnisse bedürfen jedoch wirtschaftsdidaktischer Weiterentwicklung bzw. Adaption (Kirchner, 2015).
Um kognitive Aktivierung im Wirtschaftsunterricht umzusetzen, eignet sich beispielsweise die Simulation ökonomischer Prozesse in Fallstudien. Diese sollte durch die Lehrkraft moderiert und begleitet werden, damit kognitive Aktivierung den Lernerfolg im Wirtschaftsunterricht positiv beeinflusst (Weyland & Stommel, 2016). Bereits Kleingruppen von Schülerinnen und Schülern können realistisch Prozesse wie beispielsweise Güter- und Preisallokationen auf Märkten durchspielen. Diese Realitätsnähe konnte empirisch bestätigt werden (für weitere Informationen zu den dazugehörigen Experimenten siehe Weyland & Stommel, 2016).
Ferner deuten Analyseergebnisse darauf hin, dass die Lernenden eine stärkere kognitive Aktivierung erfahren, wenn sie eigene Eindrücke und Standpunkte möglichst selbstgesteuert erarbeiten. So sollten im Ökonomieunterricht Aufgaben im Vordergrund stehen, die einen „hohen Anregungsgehalt“ (Weyland & Stommel, 2016, S. 105) besitzen, den Transfer von bereits erworbenem zu neuem Wissen ermöglichen und ferner die Problemlösekompetenz fördern (Problemorientierung) (Weyland & Stommel, 2016).
Schwerpunkte des Bildungsplans
Vermittlung der Methodenkompetenz
Der baden-württembergische Bildungsplan für das Fach WBS sieht als besonderen Schwerpunkt die Vermittlung der Methodenkompetenz zur Analyse ökonomischer Modelle vor (Schwellenkonzepte). Hierunter fallen beispielsweise Verhaltensmodelle, Preis-Mengen-Diagramme und der Wirtschaftskreislauf. In diesem Kontext bieten sich auch besonders Planspiele zur kognitiven Aktivierung an (Weyland & Stommel, 2016).
Handlungsorientierten Wirtschaftsunterricht
Der Bildungsplan legt außerdem einen handlungsorientierten, von Exemplarität geprägten Wirtschaftsunterricht nahe (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2016). Hier bieten sich zum Beispiel Exkursionen zu Unternehmen an. Im Zusammenspiel mit geeigneten Unternehmensfallstudien oder -planspielen wird in der Vor- und Nachbereitung der kognitiv aktivierenden Handlungsorientierung Rechnung getragen.
Bezug zur Lebenswelt
Auch der in den Bildungsplänen geforderte Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler kann mit einer sinnvollen kognitiven Aktivierung erreicht werden, sofern den Lernenden ein initiales, d.h. im Sinne einer vorgelagerten Phase eingebrachtes, Lernangebot präsentiert wird, das mit einer Ergebnissicherung durch die Lehrperson verbunden ist (Helmke et al., 2007). Kognitiv aktivierende Aufgaben mit Lebensweltbezug sind in der Lage, „den Abstand zwischen der Welt des Klassenzimmers und der Welt außerhalb“ (Weyland & Stommel, 2016, S. 106) zu reduzieren und somit Authentizität zu schaffen. Hierfür können beispielsweise „kognitive Konflikte“ (Weyland & Stommel, 2016, S. 106) (Schwellenkonzepte) wie das Prinzip der Opportunitätskosten aufgegriffen werden, das im realen Leben der Schülerinnen und Schüler Anwendung findet.
Empirische Untersuchungen der Qualität von gängigen wirtschaftsunterrichtlichen Aufgaben zeigen, dass sich diese meist durch die Reproduktion bereits bekannten Wissens, einen geringen Offenheitsgrad, mangelnde Problemorientierung und fehlende Lebensweltbezüge auszeichnen (Thoma & Schumacher, 2018). Insgesamt lässt sich festhalten, dass für das Fach Wirtschaft eine weitere Spezifikation der allgemeindidaktischen Annahmen der kognitiven Aktivierung sinnvoll ist, um im zweiten Schritt konkrete, empirisch fundierte Handlungsempfehlungen geben zu können.
Literatur
Helmke, A., Meyer, H., & Terhart, E. (2007). Guter Unterricht - Nur ein Angebot? Interview mit dem Unterrichtsforscher Andreas Helmke. Friedrich Jahresheft, 62-63.
Kirchner, V. (2015). Die Bedeutung von Vorstellungen zur Umsetzung kognitiver Aktivierung im Wirtschaftsunterricht. In H. Arndt (Hrsg.), Kognitive Aktivierung in der ökonomischen Bildung (S. 105-117). Wochenschau Verlag.
Klieme, E., Schümer, G., & Knoll, S. (2001). Mathematikunterricht in der Sekundarstufe I. „Aufgabenkultur“ und Unterrichtsgestaltung. In Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Hrsg.), TIMSS - Impulse für Schule und Unterricht (S. 43-57). Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Kunter, M., & Trautwein, U. (2013). Psychologie des Unterrichts (1. Aufl., Bd. 3895). utb GmbH.
Kunter, M., & Voss, T. (2011). Das Modell der Unterrichtsqualität in COACTIV: Eine multikriteriale Analyse. In M. Kunter, J. Baumert, W. Blum, U. Klusmann, S. Krauss, & M. Neubrand (Hrsg.), Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Ergebnisse des Forschungsprogramms COACTIV (S. 85-113). Waxmann.
Lipowsky, F. (2009). Unterricht. In E. Wild, & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 69-105). Springer.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. (2016). Bildungsplan 2016. Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung (WBS). http://www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/get/documents/lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/BP2016BW_ALLG_GYM_WBS.pdf
Thoma, M., & Schumacher, V. (2018). Lernaufgaben in Schulbüchern - Empirische Befunde zum kognitiven Aktivierungspotenzial im Fach Rechnungswesen. bwp@Spezial AT-1: Wirtschaftspädagogische Forschung und Impulse für die Wirtschaftsdidaktik - Beiträge zum 12. Österreichischen Wirtschaftspädagogikkongress, 1-19.
Weyland, M., & Stommel, P. (2016). Kompetenzorientierung 2.0 - Domänenspezifische Lernaufgaben für die ökonomische Bildung. Zeitschrift für ökonomische Bildung, 5, 94-118. https://doi.org/10.7808/0505
zuletzt aktualisiert: 01.11.2024
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Ring, M., & Brahm, T. (2024). Die Bedeutung der Wirtschaftslehrperson. In T. Brahm, M. Ring, & K. Schild (Hrsg.), Wirtschaft unterrichten. Offenes Lehrbuch für Wirtschaftsdidaktik. Online verfügbar unter: https://wirtschaft-unterrichten.de/makrodidaktik/kognitive-aktivierung (zuletzt abgerufen am [Datum]).