Skip to main navigation Skip to main content Skip to page footer

Finanzielle Allgemeinbildung

Lucy Haag und Taiga Brahm

In einer modernen Dienstleistungsgesellschaft kommt der Finanziellen Allgemeinbildung eine zentrale Bedeutung zu (Habschick et al., 2004). Zahlreiche Studien zeigen die Verbindung der Finanzkompetenz zum Finanzverhalten (Almenberg et al., 2021; Grohmann, 2018; Lusardi & Mitchell, 2017). Der demographische Wandel, der zunehmende Rückzug des Staates aus den sozialen Sicherungssystemen und komplexe Finanzprodukte führen dazu, dass mehr Eigeninitiative bei der Absicherung der Lebensrisiken sowie der Altersvorsorge erforderlich wird (Aprea, 2012; Klapper & Lusardi, 2020; Reifner, 2006). Auf der anderen Seite lässt sich anhand unterschiedlicher Studien erkennen, dass die allgemeine Finanzkompetenz in der Gesellschaft gering ausgeprägt ist (Lusardi et al., 2014; van Rooij et al., 2011). Insbesondere Frauen weisen hier oftmals geringere Werte auf, was vor dem Hintergrund der längeren Lebensspanne und einer erhöhten Altersarmut besorgniserregend ist (Götz & Lehnert, 2016; Lewicki & Wigger, 2013). 

Auch Kinder und Jugendliche kommen heutzutage immer früher in Kontakt mit Geld sowie Finanzprodukten und -dienstleistungen, beispielsweise im Rahmen von Handyverträgen oder einem Bankkonto (OECD, 2017). Die Relevanz einer ausgeprägten Finanzkompetenz wird seit 2012 auch durch den Financial Literacy Teil in der PISA-Studie berücksichtigt. Zwar hat Deutschland an diesem Teil der PISA-Studie (bisher) nicht teilgenommen, dennoch bieten die Ergebnisse der teilnehmenden OECD-Länder Anlass zum Nachdenken: ca. 22% der 15-Jährigen fehlt finanzielles Basiswissen. Während zum Beispiel über die Hälfte der Lernenden ein Bankkonto hat und Geld über einen Nebenjob verdient, weist nur ca. 1/3 der Jugendlichen die nötigen Skills im Bereich des Bankkontomanagements (z.B. einen Kontoauszug verstehen) auf (OECD, 2017). Vor diesem Hintergrund kommt der Förderung der Finanziellen Allgemeinbildung im Rahmen eines schulischen Fächerkanons eine zentrale Bedeutung zu (Kaminski & Friebel, 2012). 

Begriffsabgrenzung

Finanzielle Allgemeinbildung kann als Teil der Ökonomischen Bildung verstanden werden, wobei sich in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion eine Reihe von Begrifflichkeiten etabliert haben (Reifner, 2011). Neben dem Begriff der Finanziellen Allgemeinbildung werden u. a. Begriffe wie Finanzkompetenz, Financial Literacy oder Financial Capability genutzt. Oft werden die Begriffe synonym verwendet, „obwohl sie verschiedene Ebenen, curriculare Ansprüche und Zielvorstellungen der Auseinandersetzung mit finanziellen Prozessen und Gegebenheiten repräsentieren“ (Rudeloff, 2019, S. 49).  Eine umfassende Definition findet sich bei Kaminski & Friebel (2012):

Finanzielle Allgemeinbildung bezeichnet den Prozess zur Entwicklung von Finanzkompetenz. Diese wird als die Summe von Einstellungen, Motivationen, Wertvorstellungen, Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden, die es einem Individuum ermöglichen, sich kompetent und mündig auf dem Finanzdienstleistungsmarkt zu orientieren, es befähigen, seine privaten Finanzen zu organisieren, entsprechend zu handeln und sich an der Analyse und Gestaltung der institutionellen Rahmenbedingungen des Finanzdienstleistungsbereichs zu beteiligen. Finanzielle Allgemeinbildung umfasst neben der Verbraucherperspektive auch die Unternehmensperspektive und die ordnungspolitische Dimension, um eine multiperspektivische Auseinandersetzung mit dem Finanzwesen, den Finanzprodukten und den darauf bezogenen institutionellen Rahmenbedingungen zu ermöglichen.

Diese multiperspektivische Definition beinhaltet also neben dem reinen Finanzwissen auch die Dimensionen der Einstellungen und Wertvorstellungen sowie auf der Anwendungsebene das resultierende (Finanz-)Verhalten. Diese Ebenen spiegeln sich auch in der Definition der OECD wider, welche den Finanzfragen in der PISA-Studie zugrunde liegt (OECD, 2012). Engere Verständnisse der finanziellen Bildung werden teilweise auf die Perspektive der Verbraucherinnen und Verbraucher reduziert, und klammern eine makroökonomische Perspektive unter Umständen komplett aus (Bender, 2012; Kaminski & Friebel, 2012). 

Die OECD beschreibt zentrale Inhaltsbereiche der Finanzbildung. Es wird zwischen den vier Bereichen „Money and transactions“, „Planning and managing finances“, „Risk and reward“ und „Financial landscape“ unterschieden. Die Prozessebene reicht vom Verständnis von Finanzinformationen über die Analyse und Evaluation bis hin zur Anwendung des Finanzwissens (OECD, 2017).

Tabelle 2: Inhaltsbereiche der finanziellen Bildung in Anlehnung an die OECD (OECD, 2017):

Money and transactionsPlanning and managing financesRisk and rewardFinancial landscape
Geld und Währungen, Zahlungsmittel, Kontoauszüge verstehenSparen und Ausgaben, Kredit und Schulden, finanzielle EntscheidungenInvestitionen und Sparen, Risikodiversifikation, Volatilität der Märkte, WechselkurseVerbraucher:innenrechte und Verantwortung, Verständnis des erweiterten Wirtschafts- und Sozialsystems

Forschungsbefunde

Aktuell kann bereits auf eine Reihe von nationalen und internationalen Studien zurückgegriffen werden, die das finanzielle Wissen und/oder die finanzwirtschaftlichen Fähig- und Fertigkeiten messen (z.B. Aprea & Wuttke, 2016; Bender, 2012; Lusardi et al., 2009; Oberrauch & Kaiser, 2020; OECD, 2017; Preston et al., 2024; Rudeloff, 2019; Schürkmann, 2017). Vor diesem Hintergrund finden sich in der aktuellen Forschungsliteratur einige Veröffentlichungen, in denen unterschiedliche Studien mit dem Ziel einer Systematisierung synoptisch gegenübergestellt werden (Aprea, 2012; Frühauf & Retzmann, 2016; Geiger et al., 2016; Huston, 2010; Kaiser & Lutter, 2015; Rudeloff, 2019). Auch wenn den Studien z. T. unterschiedliche Zielsetzungen und Testinstrumente zugrunde liegen, kommen sie doch zu großen Teilen zu dem Ergebnis, dass das finanzielle Wissen und die finanzwirtschaftlichen Fähig- und Fertigkeiten gezielt zu verbessern sind.

Implikationen

Finanzielle Bildung gewinnt auf internationaler und nationaler Ebene an Relevanz. Dies wird beispielsweise durch eine Initiative zur Verbesserung der Finanziellen Bildung des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung deutlich (Bundesfinanzministerium). In diesem Zuge soll eine nationale Finanzbildungsstrategie in Zusammenarbeit mit der OECD entwickelt werden (BMBF, 2023). Weiterhin wurde die Finanzbildungsplattform „Mit Geld und Verstand“ erstellt, die Informationen und Angebote für Verbraucherinnen und Verbraucher bündelt.

Literatur

Brahm, T., & Jenert, T. (2019). Untangling Faculty Misinformation From an Educational Perspective: Rejoinder to “The Menace of Misinformation: Faculty Misstatements in Management Education and Their Consequences”. Journal of Management Education, 43(4), 446-453. doi.org/10.1177/1052562919843976

Brahm, T., Ring, M., & Rudeloff, M. (2020). Mögliche Ausgestaltung der reflexiven Wirtschaftsdidaktik für die Lehrer*innenbildung an allgemeinbildenden Schulen. Zeitschrift für Pädagogik, 66(6), 873-893. doi.org/10.25656/01:25818

Euler, D., & Hahn, A. (2014). Wirtschaftsdidaktik (3., aktualisierte Auflage). Haupt Verlag.

Johnson-Laird, P. N. (1983). Mental Models: Towards a Cognitive Science of Language, Inference, and Consciousness (Bd. 6). Harvard University Press.

Kaminski, H. (2017). Fachdidaktik der ökonomischen Bildung. Ferdinand Schöningh.

Sender, T. (2017). Wirtschaftsdidaktische Lerndiagnostik und Komplexität. Lokalisierung liminaler Unsicherheitsphasen im Hinblick auf Schwellenübergänge. Springer Fachmedien. doi.org/10.1007/978-3-658-18947-1

Weißeno, G. (2006). Kernkonzepte der Politik und Ökonomie: Lernen als Veränderung mentaler Modelle. In G. Weißeno (Hrsg.), Politik und Wirtschaft unterrichten (S. 120-141). Bundeszentrale für politische Bildung.

zuletzt aktualisiert: 01.11.2024

Nach oben                              Nächste Seite

Zitationshinweis

Die Inhalte dieser Homepage sind CC-BY lizenziert (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/). Bei Verwendung der Inhalte empfehlen wir folgende Zitation:

Haag, L., & Brahm, T. (2024). Finanzielle Allgemeinbildung. In T. Brahm, M. Ring, & K. Schild (Hrsg.), Wirtschaft unterrichten. Offenes Lehrbuch für Wirtschaftsdidaktik. Online verfügbar unter: https://wirtschaft-unterrichten.de/themenfelder-oekonomische-bildung/finanzielle-allgemeinbildung (zuletzt abgerufen am [Datum]).