Bildungsstandards und Kompetenzmodelle
Katharina Schild und Malte Ring
Im Zuge des PISA-Schocks und der Forderung nationaler Bildungsstandards wuchs auch in den Fachdidaktiken der Bedarf nach einer nationalen Standardisierung. Die Relevanz der Entwicklung eines Modells ökonomischer Kompetenz ergibt sich aus der Notwendigkeit, einheitliche Bildungsstandards für die Wirtschaftsdidaktik zu formulieren sowie Curricula und den daraus resultierenden Kompetenzerwerb für das Fach Wirtschaft zu entwickeln (Seeber et al., 2012).
Ökonomische Bildung als Allgemeinbildung
Die ökonomische Bildung verfolgt das Ziel der Entwicklung ökonomischer Kompetenzen, also der Befähigung des Individuums ökonomisch urteilen, argumentieren, entscheiden und agieren zu können (DeGÖB - Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung, 2004). Die Leitidee der ökonomischen Bildung umfasst die Entwicklung von Mündigkeit (Autonomie), Tüchtigkeit (Fachkompetenz) und Verantwortung und leistet damit einen Beitrag zur Allgemeinbildung (DeGÖB - Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung, 2004; Retzmann et al., 2010; Seeber et al., 2012). Im Rahmen „des schulischen Bildungsauftrags sollen die Schülerinnen und Schüler auch durch ökonomische Bildung zur individuellen Lebensführung, zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilhabe sowie zur politischen Mitwirkung befähigt werden“ (Seeber et al., 2012, S. 68). Durch die Entwicklung domänenspezifischer ökonomischer Kompetenzen werden Handelnde in die Lage versetzt, „ökonomisch geprägte Lebenssituationen“ (Retzmann et al., 2010, S. 11) erfolgreich zu bewältigen. Die ökonomische Bildung leistet somit sowohl aus individueller als auch aus gesellschaftlicher Perspektive einen unverzichtbaren Beitrag zur Allgemeinbildung (Retzmann et al., 2010).
Überblick Kompetenzmodell
Im Zuge der Forderungen der Kultusministerkonferenz nach domänenspezifischer Kompetenz sowie zugehörigen Kompetenzmodellen wurde ein Kompetenzmodell für die ökonomische Bildung entwickelt (Retzmann et al., 2010), an das sich beispielsweise auch das Drei-Dimensionen-Modell im baden-württembergischen Bildungsplan anlehnt.
Das Kompetenzmodell stellt das Zusammenspiel individueller Entscheidungen in ökonomischen Situationen mit der Beziehung zu Dritten sowie innerhalb des Ordnungssystems in den Vordergrund (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2016).
Es gliedert sich in die drei Kompetenzbereiche „Entscheidung und Rationalität des Einzelnen“ (Fähigkeit, ökonomische Entscheidungen rational zu treffen), „Beziehung und Interaktion mit Anderen“ (Verantwortungsbewusstsein für die Bedürfnisse des Gegenübers) sowie „Ordnung und System des Ganzen“ (Verständnis der Wirtschaft als abstraktes System sowie politische Gestaltung ebendieses Systems) (Retzmann et al., 2010, S. 19). Jeder Kompetenzbereich untergliedert sich wiederum in jeweils drei Teilkompetenzen:
Im baden-württembergischen Bildungsplan 2016 des Fachs Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung fand das Drei-Dimensionen-Modell Berücksichtigung in den prozessbezogenen Kompetenzen, die in die Aspekte Analyse-, Urteils-, Handlungs- und Methodenkompetenz untergliedert sind (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2016). Der Wirtschaftsunterricht folgt dabei dem Prinzip der Pluralität, sodass Schülerinnen und Schüler lernen, „ökonomische Entscheidungen vor dem Hintergrund wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Konzepte einzuordnen und ihre möglichen Wirkungen sowohl unter ökonomischen Aspekten als auch mithilfe gesellschaftlicher Wertmaßstäbe zu beurteilen beziehungsweise zu gestalten“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2016, S. 7) (Reflexive Wirtschaftsdidaktik).
Inhalte für die ökonomische Bildung lassen sich nicht rein aus der Fachwissenschaft heraus entwickeln. Vielmehr sind unterschiedliche Perspektiven für die Entwicklung von ökonomischen Kompetenzstandards relevant (Prinzipien Inhaltsauswahl). Um die gegenwärtigen und zukünftigen Lebenssituationen von Jugendlichen zu gliedern, werden übergreifend drei Rollenbilder als Strukturelement herangezogen (Retzmann et al., 2010):
die Rolle des Verbrauchers bzw. der Verbraucherin, die Rolle des bzw. der Erwerbstätigen (sowohl des Arbeitnehmers bzw. der Arbeitnehmerin als auch des Unternehmers bzw. der Unternehmerin) sowie
die Rolle des Wirtschaftsbürgers bzw. der Wirtschaftsbürgerin (siehe Retzmann et al., 2010).
In manchen Modellen werden die übergreifenden Rollenbilder in weitere Teilrollen gegliedert. Fügt man sowohl die Rollen als auch die Kompetenzbereiche zusammen, ergibt sich eine Matrix „situationsübergreifender Kompetenzen für den wirtschaftenden Menschen“ (Retzmann et al., 2010, S. 16).
Im Zuge der Entwicklung des Kompetenzmodells wurden zudem nationale Bildungsstandards für die Primarstufe, den Hauptschulabschluss, den mittleren Bildungsabschluss und das Abitur formuliert (DeGÖB - Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung, 2006, 2009; Retzmann et al., 2010). Über Aufgabenbeispiele werden die Bildungsstandards anhand verschiedener Lebenssituationen näher erläutert (Retzmann et al., 2010). Dem Prinzip der Horizonterweiterung folgend werden Themen wie der Konsum oder der Berufsalltag, Ausbildung oder Unternehmensgründung auf den verschiedenen Bildungsstufen behandelt. Die vorgestellten Musteraufgaben dienen beispielhaft zur Darstellung der zuvor im Rahmen der Bildungsstandards definierten Kompetenzdimensionen und -stufen (Retzmann et al., 2010). Die Bildungsstandards sowie die Aufgabenbeispiele sind im online verfügbaren Gutachten von Retzmann et al. (2010) frei abrufbar.
Literatur
DeGÖB - Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung (2004). Kompetenzen der ökonomischen Bildung für allgemein bildende Schulen und Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss. https://www.degoeb.de/fileadmin/media/medien/04_DEGOEB_Sekundarstufe-I.pdf
DeGÖB - Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung (2006). Kompetenzen der ökonomischen Bildung für allgemein bildende Schulen und Bildungsstandards für den Grundschulabschluss. https://www.degoeb.de/fileadmin/media/medien/06_DEGOEB_Grundschule.pdf
DeGÖB - Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung (2009). Kompetenzen der ökonomischen Bildung für allgemein bildende Schulen und Bildungsstandards für den Abschluss der gymnasialen Oberstufe. https://www.degoeb.de/fileadmin/media/medien/09_DEGOEB_Abitur.pdf
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2016). Bildungsplan 2016. Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung (WBS). http://www.bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/get/documents/lsbw/export-pdf/depot-pdf/ALLG/BP2016BW_ALLG_GYM_WBS.pdf
Retzmann, T., Seeber, G., Remmele, B., & Jongebloed, H.-C. (2010). Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen. Bildungsstandards. Standards für die Lehrerbildung. https://www.wida.wiwi.uni-due.de/fileadmin/fileupload/BWL-WIDA/Publikationen/Retzmann_ua2010_Gutachten.pdf
Seeber, G., Retzmann, T., Remmele, B., & Jongebloed, H.-C. (2012). Bildungsstandards der ökonomischen Allgemeinbildung. Kompetenzmodell, Aufgaben, Handlungsempfehlungen. Wochenschau Verlag.
zuletzt aktualisiert: 01.11.2024
Zitationshinweis
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Schild, K., & Ring, M. (2024). Bildungsstandards und Kompetenzmodelle. In T. Brahm, M. Ring, & K. Schild (Hrsg.), Wirtschaft unterrichten. Offenes Lehrbuch für Wirtschaftsdidaktik. Online verfügbar unter: https://wirtschaft-unterrichten.de/makrodidaktik/bildungsstandards-und-kompetenzmodelle (zuletzt abgerufen am [Datum]).