Verbraucher:innenbildung
Katharina Schild und Malte Ring
Die Verbraucher:innenbildung bildet einen essentiellen Bestandteil der modernen Allgemeinbildung. Seit Beschlussfassung der Kultusministerkonferenz am 12.09.2013 ist die Verbraucher:innenbildung als Fach oder Querschnittsaufgabe fester Bestandteil des Lehrplanes der Sekundarstufe I an allgemeinbildenden Schulen (Schütte, 2020). Ziel dieser Implementierung in die Schulbildung sei die Entwicklung „mündiger Verbraucher:innen“, die eine reflektierte Einstellung in ihrer Rolle als Verbraucherin oder Verbraucher erlernen und so kompetent agieren können (Bala et al., 2019; KMK, 2013; Wittau, 2019). In der Regel wird das Thema der Verbraucher:innenbildung mit Ausnahme von Baden-Württemberg, wo die Verortung als Querschnittsthematik verbleibt, in wirtschaftlichen Fächern oder Verbundfächern mit wirtschaftlichen Anteilen verortet (Heiduk, 2019).
Einführung
Im Allgemeinen kann Verbraucher:innenbildung definiert werden als „die Entwicklung eines verantwortungsbewussten Verhaltens als Verbraucherinnen und Verbraucher […], indem über konsumbezogene Inhalte informiert wird und Kompetenzen im Sinne eines reflektierten und selbstbestimmten Konsumverhaltens erworben werden“ (KMK, 2013). Sie fokussiert die Entwicklung von Urteils-, Entscheidungs- und Handlungskompetenzen hinsichtlich vielfältiger Konsumfelder, um als verantwortungsvolle und reflektierte Verbraucherinnen und Verbraucher agieren zu können (Bala & Schuldzinski, 2015; KMK, 2013; OECD, 2009). Diese sollen durch geeignete didaktische Gestaltung gefördert werden, die nicht nur in spezifischen Kontexten, sondern auch zur individuellen Lebensführung Anwendung finden können (Schlegel-Matthies, 2019). Dabei ist sowohl die Ebene des Individuums hinsichtlich allgemeiner Alltagsgestaltung als auch die institutionelle Ebene hinsichtlich des privaten Haushalts zu berücksichtigen (Schlegel-Matthies, 2019). In der ökonomischen Bildung werden die entsprechenden Fähigkeiten entlang der Rollen „ ‚Konsumenten‘, ‚Geldanleger‘, ‚Kreditnehmer‘ und ‚Versicherungsnehmer‘ “ konkretisiert (Seeber et al., 2012) (Bildungsstandards und Kompetenzmodelle). In der Vermittlung besonders zu berücksichtigende didaktische Prinzipien sind die Lebenswelt- und Handlungsorientierung, sowie der Fokus auf Multiperspektivität (Tübinger Modell) und aktuelle Inhalte (Engartner & Heiduk, 2015; Heiduk, 2019).
Die schulische Verbraucher:innenbildung folgt dabei einem funktionalistischen und normativem Konsumverständnis, das die Verankerung vorgesehener Konsummuster in den Alltagsgewohnheiten der Schülerinnen und Schüler beabsichtigt (Schütte, 2020). Daher wird insbesondere der Lebensweltorientierung sowie der Verknüpfung verschiedener interdisziplinärer Themenfelder besondere Bedeutung beigemessen (Biebricher-Sondermann & Maier, 2020) (Reflexive Wirtschaftsdidaktik). Der Verbraucher:innenbildung ist dabei i.d.R. keine eigenständige Fachwissenschaft zugeordnet (Schlegel-Matthies, 2004). Nach Schlegel-Matthies (2019) gilt die Thematik der Verbraucher:innenbildung daher als fachlich und fachdidaktisch noch nicht angemessen in der schulischen Bildung verortet.
Aspekte der Verbraucher:innenbildung
Gemäß KMK-Beschluss umfasst die Verbraucher:innenbildung die Bereiche „Finanzen, Marktgeschehen und Verbraucherrecht; Ernährung und Gesundheit; Medien und Information; Nachhaltiger Konsum und Globalisierung“ (KMK, 2013). Aufgrund der vielfältigen Bereiche der Verbraucher:innenbildung enthält diese nicht ausschließlich wirtschaftliche Inhalte, sondern kann in Teilen auch der Haushaltslehre, der politischen Bildung oder dem Fach Technik zugeordnet werden (Scherhorn, 1975). Im Folgenden werden die als Teilaspekte von Verbraucher:innenbildung benannte Bereiche kurz skizziert (Bala & Maier, 2014; KMK, 2013; Schlegel-Matthies, 2019):
Finanzen, Marktgeschehen und Verbraucherrecht
Dieser Bereich umfasst Aspekte der finanziellen Bildung wie Preisbildung, „Geld und Zahlungsverkehr sowie Einkommensentstehung und -verwendung“ wie auch der Marktwirtschaft (Schlegel-Matthies, 2004; Weber, 2017). Ziel ist die Ausbildung eines Grundverständnisses für den Umgang mit finanziellen Mitteln in der Lebens- und Arbeitswelt (Tröster et al., 2019). Zudem gilt es, Bereiche des Verbraucher:innenschutzes, der Vorsorge und Versicherungen, aber auch Marketing und Strategien der Anbietenden zu verstehen. Hier ergibt sich eine große Schnittmenge mit Finanzieller Bildung, die teilweise als Teilbereich der Verbraucher:innenbildung gesehen wird.
Ernährung und Gesundheit
Hier liegt der Fokus auf dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der Beurteilung der Qualität von Gütern oder auch Dienstleistungen. Dabei spielen nicht nur die gesunde Lebensführung, sondern auch das Verständnis der Nahrungsmittelkette von Anbau bis Konsum sowie die Kennzeichnung und Wertschätzung von Lebensmitteln eine Rolle (KMK, 2013).
Medien und Information
Die Bereiche unterliegen einem stetigen Wandel, der zu berücksichtigen ist. So ist zwischenzeitlich beispielsweise auch die Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen von Künstlicher Intelligenz in die Verbraucher:innenbildung zu integrieren (Digitalisierung). Im Beschluss der KMK (2013) werden in diesem Zusammenhang unter anderen Informationsbeschaffung und Bewertung, Datenschutz und Urheberrechte sowie Mediennutzung erwähnt.
Nachhaltiger Konsum
In diesem Kontext wird auf den Umgang mit „steigenden Anforderungen und [der] wachsenden Komplexität von Märkten“ vorbereitet (Klemisch & Voß, 2019). Dafür spielen nicht nur fairer Handel und Produktbezeichnungen, sondern auch Klima, Energie, Ressourcen und Globalisierung eine Rolle (KMK, 2013) (Nachhaltige Entwicklung in der ökonomischen Bildung).
Ziele der Verbraucher:innenbildung
Das Bild des „mündigen Verbrauchers“ bzw. der „mündigen Verbraucherin“ beschreibt ein sehr heterogenes, nicht einheitlich definiertes Feld. Es umfasst die Annahme der Entwicklung von verantwortungsbewussten, selbstständigen und reflektierten Individuen, die ihr Lebensumfeld stetig kritisch hinterfragen (Heiduk, 2019; KMK, 2013). Bürgerinnen und Bürger haben somit nicht nur das Recht, sich politisch zu beteiligen, sondern auch die Pflicht, sich gesellschaftlich einzubringen (Schlegel-Matthies, 2004).
Ziel der Verbraucher:innenbildung ist es, die Schülerinnen und Schüler auf den Umgang mit zukünftigen komplexen Problemen oder Herausforderungen vorzubereiten, die heute noch nicht absehbar sind (Schlegel-Matthies, 2019). Dazu ist der Erwerb von Fähigkeiten zur Strukturierung und Einschätzung von Situationen, Beurteilungskompetenz, Anpassungsfähigkeit sowie die Kompetenz, Unsicherheiten und Widersprüche aushalten zu können, erforderlich (Schlegel-Matthies, 2016). Weiter sollen Analyse- und Reflexionskompetenzen entwickelt werden, um aktuelle gesellschaftliche Gegebenheiten kritisch reflektieren und hinsichtlich der Auswirkungen auf die eigene Lebensrealität beurteilen zu können. Heiduk fasst die durch die Verbraucher:innenbildung zu entwickelnden Kompetenzbereiche als Alltagskompetenzen, Fach- und Sachkompetenzen, Methoden- und Verfahrenskompetenzen, Urteils- und Entscheidungskompetenzen, Handlungs- und Gestaltungskompetenzen sowie Kommunikationskompetenzen zusammen (Heiduk, 2019).
Literatur
Bala, C., Buddensiek, M., Maier, P., & Schuldzinski, W. (2019). Einleitung: Verbraucherbildung; Ein weiter Weg zum mündigen Verbraucher. In C. Bala, M. Buddensiek, P. Maier, & W. Schuldzinski (Hrsg.), Verbraucherbildung: Ein weiter Weg zum mündigen Verbraucher (Bd. 10, S. 7-17). Kompetenzzentrum Verbraucherforschung NRW. https://doi.org/10.15501/978-3-86336-924-8_1
Bala, C., & Maier, P. (2014). Erziehung zum mündigen Verbraucher? Bildung und Basiskompetenzen. In F. Baranowski, & B. Daldrup (Hrsg.), Verbraucherpolitik in der kommunalen Praxis (S. 95-107). SGK - Die Kommunalen in NRW.
Bala, C., & Schuldzinski, W. (2015). Einleitung. In C. Bala, & W. Schuldzinski (Hrsg.), Der verantwortungsvolle Verbraucher. Aspekte des ethischen, nachhaltigen und politischen Konsums (S. 7-18). Verbraucherzentrale. doi.org/10.15501/978-3-86336-907-1_1
Biebricher-Sondermann, R., & Maier, P. (2020). Verbraucherbildung als Teil einer BNE in der Lehrkräftebildung. Kompetent und nachhaltig durch den Angebotsdschungel: Lehrkräfte sind wichtige Impulsgeber. In A. Keil, M. Kuckuck, & M. Faßbender (Hrsg.), BNE-Strukturen gemeinsam gestalten. Fachdidaktische Perspektiven und Forschungen zu Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Lehrkräftebildung (Bd. 13, S. 71-82). Waxmann Verlag GmbH. https://doi.org/10.31244/9783830991588
Engartner, T., & Heiduk, N. (2015). Reflektierter Konsum. Leitlinien einer an ethischen Prinzipien orientierten sozialwissenschaftlichen Konsumbildung. GWP - Gesellschaft. Wirtschaft. Politik, 64(3), Article 3.
Heiduk, N. (2019). Kontroverse Kompetenzprofile: Welche Fähigkeiten erfordert mündiges Konsumverhalten? In C. Bala, M. Buddensiek, P. Maier, & W. Schuldzinski (Hrsg.), Verbraucherbildung: Ein weiter Weg zum mündigen Verbraucher (Bd. 10, S. 61-82). Kompetenzzentrum Verbraucherforschung NRW. https://doi.org/10.15501/978-3-86336-924-8_4
Klemisch, H., & Voß, C. (2019). Wissenschaftsläden als Informationslotsen im Rahmen der Verbraucherbildung für nachhaltige Entwicklung. In C. Bala, M. Buddensiek, P. Maier, & W. Schuldzinski (Hrsg.), Verbraucherbildung: Ein weiter Weg zum mündigen Verbraucher (S. 101-122). Kompetenzzentrum Verbraucherforschung NRW. https://doi.org/10.15501/978-3-86336-924-8_6
KMK (2013). Verbraucherbildung an Schulen. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.09.2013. https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2013/2013_09_12-Verbraucherbildung.pdf
OECD (2009). Promoting Consumer Education: Trends, Policies and Good Practices. OECD Publishing. https://doi.org/10.1787/9789264060098-en
Scherhorn, G. (1975). Verbraucherinteresse und Verbraucherpolitik. Schwartz.
Schlegel-Matthies, K. (2004). Verbraucherbildung im Forschungsprojekt REVIS - Grundlagen. In H. Heseker, & K. Schlegel-Matthies (Hrsg.), Paderborner Schriften zur Ernährungs- und Verbraucherbildung (Bd. 2). Universität Paderborn. https://sug.uni-paderborn.de/ekg/schriftenreihe
Schlegel-Matthies, K. (2016). Zwischen Wissenschaft und Lebenswelt. In H. Heseker, & K. Schlegel-Matthies (Hrsg.), Paderborner Schriften zur Ernährungs- und Verbraucherbildung (Bd. 10). Universität Paderborn. http://groups.uni-paderborn.de/evb/docs/10_2016_Zwischen_Wissenschaft_und_Lebenswelt.pdf
Schlegel-Matthies, K. (2019). Verbraucherbildung als Bildung für Lebensführung. In C. Bala, M. Buddensiek, P. Maier, & W. Schuldzinski (Hrsg.), Verbraucherbildung: Ein weiter Weg zum mündigen Verbraucher (Bd. 10, S. 41-60). Kompetenzzentrum Verbraucherforschung NRW. https://doi.org/10.15501/978-3-86336-924-8_3
Schütte, A. (2020). Verbraucherbildung an Schulen. Bestandsaufnahme und Kritik eines Responsibilisierungsprogramms. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 23, 1079-1096. https://doi.org/10.1007/s11618-020-00971-9
Seeber, G., Retzmann, T., Remmele, B., & Jongebloed, H.-C. (2012). Bildungsstandards der ökonomischen Allgemeinbildung. Kompetenzmodell, Aufgaben, Handlungsempfehlungen. Wochenschau Verlag.
Tröster, M., Bowien-Jansen, B., & Mania, E. (2019). Potenziale Finanzieller Grundbildung für die Verbraucherbildung. In C. Bala, M. Buddensiek, P. Maier, & W. Schuldzinski (Hrsg.), Verbraucherbildung: Ein weiter Weg zum mündigen Verbraucher (Bd. 10, S. 83-100). Kompetenzzentrum Verbraucherforschung NRW. doi.org/10.15501/978-3-86336-924-8_5
Weber, B. (2017). Finanzielle Bildung in der Sekundarstufe I - Curriculare Verankerung und Herausforderungen. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, 86(3), 27-39. https://doi.org/10.3790/vjh.86.3.27
Wittau, F. (2019). Verbraucherbildung als Alltagshilfe: Deutungsmuster zu Konsum und Bildung im Spiegel sozialwissenschaftlicher Professionalität. Springer Fachmedien. https://doi.org/10.1007/978-3-658-27969-1
zuletzt aktualisiert: 01.11.2024
Zitationshinweis
Die Inhalte dieser Homepage sind CC-BY lizenziert (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/). Bei Verwendung der Inhalte empfehlen wir folgende Zitation:
Schild, K., & Ring, M. (2024). Verbraucher:innenbildung. In T. Brahm, M. Ring, & K. Schild (Hrsg.), Wirtschaft unterrichten. Offenes Lehrbuch für Wirtschaftsdidaktik. Online verfügbar unter: https://wirtschaft-unterrichten.de/themenfelder-oekonomische-bildung/verbraucherinnenbildung (zuletzt abgerufen am [Datum]).