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Einsatz von Testverfahren in der Beruflichen Orientierung

Vera Kirchner und Tina Fletemeyer

Bei Testverfahren, die im Rahmen der Beruflichen Orientierung (Berufliche Orientierung) zum Einsatz kommen, handelt es sich idealerweise um wissenschaftlich fundierte Verfahren, die entwickelt wurden, um primär Schüler:innen (wie auch Erwachsene in einer Phase der beruflichen Neuorienterung) in der beruflichen Entscheidungsfindung zu unterstützen (Kanning, 2017; Kanning, 2013). Hierbei wird heute zumeist mittels digital-gestützter Testverfahren im Sinne pädagogisch-psychologischer Diagnostik (Wilhelm & Kunina-Habenicht, 2015) ermittelt, inwiefern und inwieweit eine Passung zwischen den Interessen und Fähigkeiten einer Person und den Anforderungen in verschiedenen Berufsfeldern, Ausbildungsberufen oder Studienfächern besteht. Dabei werden klassische Berufsorientierungstests von Fähigkeits- und Interessenstests (vgl. hierzu Thomas, 2013) unterschieden, die die Passung zu beruflichen Anforderungen nicht in den Fokus stellen.

In Berufsorientierungstests werden klassischerweise leistungsbezogene Aufgaben und Aufgaben zur Selbstbeschreibung genutzt (Kanning, 2013), die in einigen Testverfahren anschließend in Beziehung zueinander gesetzt werden. Anders als bei den Leistungsaufgaben, die die Lösung kognitiver Probleme erfordern, unterliegt die Selbsteinschätzung der eigenen Person einer gewissen Verzerrung. Problematisch ist auch, dass sich verschiedene berufsrelevante kreative oder auch motorische Fähigkeiten in den meisten Testverfahren nur sehr unzureichend abbilden lassen (ebd.).

Persönlichkeitsorientierte Verfahren bieten die Möglichkeit, das eigene Selbstbild mit dem vergleichsweise objektiven Testergebnis abzugleichen und in relativ kurzer Zeit eine Einschätzung zur eigenen Person zu erlangen, die bei der Berufswahl unterstützen kann (vgl. Hossiep, Schultz & Weiss, 2021). Dabei ist es wichtig, die Chancen und Grenzen solcher Verfahren explizit mit den Schüler:innen anzuprechen und die Testergebnisse vor diesem Hintergrund zu reflektieren und einzuordnen (Kanning, 2017). Alle Testergebnisse sollten deshalb stets didaktisch eingebunden, pädagogisch begleitet, (kritisch) reflektiert sowie als ein Instrument von verschiedenen innerhalb der Beruflichen Orientierung eingesetzt werden (vgl. Hossiep et al., 2021, S. 415).

Für den Einsatz im Unterricht ist es wesentlich, dass die eingesetzten Testverfahren wissenschaftlichen Qualitätsanforderungen genügen (Kanning, 2017): Zu beachten ist beispielsweise, dass die herausgebende Institution des Testverfahrens Angaben zu dessen Entwicklung transparent macht und wissenschaftliche Gütekriterien wie Validität und Reliabilität berücksichtigt werden. Kanning (2012) stellt elf Bewertungskriterien für die Güte von Berufsorientierungstests auf, die mithilfe einer Checkliste verwendet werden können (siehe Tabelle 1). 

Merkmale
Es wird über die Möglichkeiten und Grenzen der Aussagekraft eines Berufsorientierungstests aufgeklärt. 
Es werden Angaben zur Reliabilität des Verfahrens gemacht. 
Es werden Angaben zur Validität des Verfahrens gemacht.
Es wird erläutert, woher die Testentwickler und Testentwicklerinnen wissen, welche Merkmalsprofile zu welchen Berufsfeldern, Ausbildungs- und Studiengängen passen.
Im Falle einer Normierung der Testergebnisse wird beschrieben, wie groß die Stichproben sind und wie sie sich zusammensetzen.
Die Testinstruktionen sowie die Testaufgaben sind verständlich formuliert.
Die Durchführung von Testverfahren, die zahlreiche Merkmale des Ratsuchenden untersuchen, nimmt mehr als 15 Minuten in Anspruch.
Die individuellen Testergebnisse werden verständlich erklärt. 
Es wird nicht der Eindruck erweckt, man könne die individuelle Passung zu vielen dutzend Berufen punktgenau ausdrücken.
Es gibt Belege für die Qualität des Verfahrens basierend auf empirische Studien und es wird nicht ausschließlich auf “gute Erfahrungen”, “zufriedene Kunden” oder eine weite Verbreitung des Tests hingewiesen. 
Der Test ist klar auf die Berufsorientierung ausgerichtet und nicht für Bewerbungs- oder Auswahlverfahren konzipiert. 

Tabelle 1: Merkmale zur groben Bewertung von Berufsorientierungstests übernommen aus Kanning 2017, S. 83. Die letzten Merkmale wurden leicht angepasst: Im Original sind sie als Negativkriterien formuliert, deren Ablehnung jeweils als Qualitätsmerkmal gilt.

Weitere Hinweise auf die Seriosität des Angebots können beispielsweise empirische Forschungsergebnisse zum Testverfahren sein. Zu prüfen ist außerdem, ob der Test für die Ziel- bzw. Lerngruppe auch hinsichtlich weiterer Aspekte wie Sprache und Aufgabenniveau passend erscheint. Eine entsprechende Qualitätskontrolle des gewählten Testverfahrens vorab ist Aufgabe der Lehrperson. Die Testergebnisse werden von den Lernenden erfahrungsgemäß als gefühlt objektive Ergebnisse sehr ernst genommen. Eine Sicherstellung der Qualität des genutzten Verfahrens sollte deshalb selbstverständlich sein. Im Hinblick auf den Umgang mit den Ergebnissen ist es für die Schüler:innen wichtig, dass diese eingeordnet werden und ihre Aussagekraft realistisch dargestellt wird (Kanning, 2017; Kanning, 2013). Hier sind im Idealfall individuelle Rückmeldegespräche anzubieten. Für den Einsatz im Unterricht ist es zudem herausfordernd, dass seriöse Testangebote zumeist eine gewisse Dauer voraussetzen, um fundierte Aussagen zu Fähigkeiten und der Passung zu Tätigkeiten in bestimmten Berufsfeldern ergeben zu können (> 15 Minuten). Zudem gibt es auf dem deutschsprachigen Markt kostenfreie und -pflichtige Angebote, deren Einsatz mit Blick auf die entstehenden Kosten und Möglichkeiten der Finanzierung zu prüfen ist.

Literatur

Hossiep, R., Schulz, R. & Weiß, S. (2021). Einsatz berufsorientierter Persönlichkeitsfragebogen. In T. Grüneberg, I. Blaich, J. Egerer, B. Knickrehm, M. Liebchen, L. Lutz, U. Nachtigäller & R. Thiel (Hrsg.), Handbuch Studienberatung – Berufliche Orientierung und Beratung für akademische Bildungswege (Bd. 1, S. 407–417).

Kanning, U. P. (2013). Berufsorientierungstests. In T. Brüggemann & S. Rahn (Hrsg.), Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (S. 236–250). Waxmann.

Kanning, U. P. (2017). Berufsorientierungstests. In T. Brüggemann, K. Driesel-Lange & C. Weyer (Hrsg.), Instrumente zur Berufsorientierung. Pädagogische Praxis im wissenschaftlichen Diskurs (S. 69–84). Waxmann.

Kanning, U. P. (2020). Berufsorientierungstests. In T. Brüggemann & S. Rahn (Hrsg.), Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (2., überarb. & erw. Aufl., S. 360–373). Waxmann.

Kanning, U. P. (2021). Qualitätskriterien von Testverfahren. In T. Grüneberg, I. Blaich, J. Egerer, B. Knickrehm, M. Liebchen, L. Lutz, U. Nachtigäller & R. Thiel (Hrsg.), Handbuch Studienberatung – Berufliche Orientierung und Beratung für akademische Bildungswege (Bd. 1, S. 403–406).

Kanning, U. P. (2012). Neun Kriterien zur Bewertung von Berufsorientierungstests. In Arbeitsförderung Offenbach (Hrsg.), Berufsorientierung und Kompetenzen: Methoden, Tools, Projekt (S. 11–23). Bertelsmann.

Thomas, J. (2013). Fähigkeits- und Interessenstest in der Studien- und Berufsorientierung. In T. Brüggemann & S. Rahn (Hrsg.), Berufsorientierung. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (S. 225–235). Waxmann.

Wilhelm, O. & Kunina-Habenicht, O. (2015). Pädagogisch-psychologische Diagnostik. In E. Wild & J. Möller (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (2. Aufl., S. 305–328). Springer.

zuletzt aktualisiert: 21.10.2025

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